Man(n) rechnet ja echt mit vielem, wenn man in Bewerbungsgespräche geht. Obwohl die meisten nur langweiliges Schema-F sind, bis dann „völlig überraschend“ die Frage nach drei Stärken und Schwächen kommt – wow, wie originell und noch nie da gewesen. Aber dass man als Bewerber, und noch nicht mal auf eine Führungsrolle, plötzlich gezwungen ist, die Gesprächsleitung zu übernehmen und mit null Rückkopplung bis schon fast zum Ende des Gesprächs führen muss, das ist mir bisher auch erst einmal passiert… Also, was tun, wenn aus einer unverständlichen Terminvereinbarung ein spontanes Telefoninterview wird? Reden!
Ich habe schon viele skurrile Bewerbungsgespräche erlebt – auf beiden Seiten des Tisches. Ich saß mal bei einem Verlang in Wiesbaden, der seine eigenen Produkte nicht kannte, mich aber intensiv über sein Sortiment befragte. In München, brutaler Anfängerfehler, bin ich, zu einer Zeit, in der es noch kein Google Maps gab, eine ganze Stunde zu früh zum Termin erschienen. Ein Düsseldorfer Telekommunikationsanbieter wollte mich mit einer etwas cholerischen Art aus der Reserve locken und nannte es im Nachgang, als der Personaler dazu kam, sein obligatorisches Stressinterview. Ich erlebte Kandidaten, die schon in der Selbstvorstellung so den Faden verloren hatten, dass die best gemeinten Fragen nur noch mit „Oh, eine Fangfrage!“ quittiert wurden – hat einem aber den ganzen Nachmittag freigeräumt, wenn so ein interview plötzlich nach zehn Minuten vorbei ist.
Und wer viele Interviews erlebt, erlebt auch gute und schlechte Personaler. Wobei die Mehrheit nur glaubt, sie wäre wirklich gut – in Wahrheit sind sie schlecht vorbereitet und nennen es „Unvoreingenommenheit“. Sie haben sich nicht mit der Bewerbung auseinandergesetzt oder tauchen gar mit falschen Unterlagen im Bewerbungsgespräch auf. Oder sie kommen nur als Erfüllungsgehilfe, falls die Führungskraft, die das Gespräch führt, „falsch abbiegt“.
Aber was macht man, wenn der Personaler am anderen Ende, der einen angerufen hat, schon mit einer Terminvereinbarung zu einem Vorstellungsgespräch maßlos überfordert ist? Spielen wir es mal durch: Das Telefon klingelt, unbekannte Nummer. Du meldest Dich – und erst mal passiert nichts. Dann nach „endlosen“ Sekunden ein Firmenname und noch ein Name, mal wolle mit dir nun telefonisch einen Termin für ein Vorstellungsgespräch vereinbaren. Proaktiv teilst Du dem Anrufer mit, dass Du die ganze Woche verfügbar bist, nur Freitag Mittag bist Du für 90 Minuten geblockt. Wieder eine ziemlich lange Bedenkzeitpause. Dann die wenig erhellende Aussage: „Ah, dann haben Sie wohl keine Zeit?“.
Ist das der örtliche Lokalsender, den dir ein Kumpel auf den Hals gehetzt hat? Also, probieren wir es ein wenig detaillierter. „Ich kann heute, Montag, den ganzen Nachmittag. Dienstag, Mittwoch und Donnerstag haben Sie freie Auswahl. Und Freitag kann ich von 5 bis 11:30 und dann wieder ab 13 Uhr bis 23 Uhr.“ Das sollte doch jetzt verständlich sein. Nein, nicht für mein Gegenüber: „Ja, wenn es Ihnen zeitlich nicht passt, dann können wir auch nächste Woche in einem neuen Telefonat einen neuen Termin ausmachen!“.
BLOSS NICHT! Der ist so doof und ruft noch glatt den Falschen an! Also, nochmal: „Ich merke, Sie wollen den Termin am Freitag vereinbaren. Wollen Sie den Vormittag oder den Nachmittag? Ich stehe nur von 11:30 bis 13 Uhr nicht zur Verfügung – das ist aber sowieso die Mittagszeit, das kann ja nicht so schlimm sein, oder?“
Da kommst du nie drauf, was jetzt kommt! Überlege scharf…. drei, zwo, eins… ich löse. Er sagt zu mir: „Also können Sie Freitag nicht?“
Kennt ihr das Gefühl, wenn meinen seinen Mitmenschen, liebevoll, aber doch mit Kraft, auf den Hinterkopf schlagen möchte, dass die Stirn auf den Schreibtisch klatsch? Ich auch nicht…
Mittlerweile fällt ruhig bleiben mir schwer, ich kann einfach nicht mit dummen Leuten. „Sie wollen den Termin, den Sie bisher nicht weiter benannt haben, also um die Mittagszeit ansetzen?“ Mal sehen, ob wir nun auf Spur kommen.
„Nachdem Ihnen das alles nicht passt, wollen wir ein Telefoninterview machen?“
Ok, ich weiß ja nicht, ob der von OP-Tisch aus aktuell einer Lobotomie unterzogen wird oder die Zigaretten mit den Bewusstseins-erweiternden Drogen verwechselt hat. „Ja, können wir gerne. Wann stellen Sie sich denn den Termin vor?“. Gesagt, und Frage bereut! Erzählt er mir doch im nächsten Satz, dass er es zeitnah machen möchte, ich aber freitags ja keine Zeit hätte.
Das ist kein Radiosender – der hätte sich längst am Kopfhörerkabel erhängt, wenn er so einen Mist an Dummfragen und -Bemerkungen loswerden muss.
So, Milchbubi, Deine letzte Chance, dann lege ich auf: „Wie wäre es denn dann mit jetzt – sofort?“
Er nuschelt irgendwas total unverständliches, auch nur in halber Lautstärke. Hat er gerade im Großraumbüro seine Kollegen vorgewarnt, dass er jetzt ein telefonisches Erstinterview führt, ganz überraschend, weil der Kollege zu seinem geplanten Wunschtermin am Freitag verhindert ist?
Irgendwie gewinne ich gerade Lust, das jetzt durchzuziehen, anstatt aufzulegen. Man, was ich ein Idiot. Was hätte mir ein Auflegen alles an schreckliche erste Male erspart…
„Was wissen Sie denn von Unternehmen?“. Oh nein, ein wirklich schlechter Personaler. Der hat wohl mal einen „Wie komme ich durch ein Vorstellungsgespräch“-Ratgeber gelesen und sich daraus die banalen Standardfragen abgegriffen.
Meine Vorstellung seines Unternehmens wurde mein einer langen Pause und einem schnöden „Ok“ quittiert. Und jetzt die Frage, auf die ja nie jemand im Gespräch vorbereitet ist: „Stellen Sie mir doch mal Ihren Lebenslauf vor!“. Ok, ich fasse in drei Sätzen Schulabschluss, meinen Ausflug in die Informatik, die Bundeswehrzeit und mein mit Diplom abgeschlossenes BWLer-Studium. Pause. Stille. Ich blicke misstrauisch auf mein Handydisplay, nein, die Verbindung steht noch.
Mir egal, Stille muss man aushalten. Nach 15 Sekunden ergreife ich wieder das Wort: „Ich stelle fest, hierzu bestehen keine Fragen Ihrerseits? Ich gehe dann in meine Berufserfahrung. Keine Reaktion. Fünf Sekunden später lege ich los.
Ich berichte von meiner Selbstständigkeit, den Problemen, die man als Schüler hat, einen Gewerbeschein unterschrieben zu bekommen und wie ich meine Firma 17 Jahre lang, trotz Rückschlag Bundeswehr am Laufen gehalten habe. Und erwähne, dass ich mich nun von einem Wunschunternehmen habe von Markt kaufen lassen – das aber ein ganz anderes Betätigungsfeld hat. Wieder gute zehn Sekunden Pause (ja, ich zähle mit), kurze Anmoderation, dass ich nun fortfahre, Einundzwanzig, Zweiundzwanzig, Dreiundzwanzig.
Also fahre ich fort. Pressearbeit, Pressesprecher, Erfolge, Herausforderungen. Pause. Ich überlege, ob der Kollege den Hörer zur Seite gelegt hat und sich ein Frühstücksbrötchen holt. Hat der Laden eine Kantine? Und wie weit weg die wohl ist.
Ich gehe nahtlos zur nächsten Position über. Diverse Aufgaben, Mitarbeit und Projektleitung bei Umstrukturierungen, Beförderung, Führungsrolle. Stille. Keine Nachfragen. Gut, ich erkläre schon zu allen ein, zwei Sätze mehr – aber so gar keine Fragen? Ok, fordern wir ihn mal heraus:
Übergang zu anderem Unternehmen, aber nicht mehr in Führungsrolle. Ich sage nichts dazu, bete nur stoisch meine Aufgaben runter, den Karriereplan und die erneute Führungsebene. Pause. Mir ist noch nie aufgefallen, dass eine ISDN-Verbindung so rauschen kann, wenn keiner spricht.
Letzte Position vor der Gegenwart: Ich erkläre die Details und führe zu der Stelle, auf die ich mich beworben habe, Parallelen und sinnvolle Anknüpfungspunkte. Stille.
Ich habe fertig – wach auf, du helle Kerze am Baum!
Stille.
Ein Räuspern. Eine Danksagung. Wieder Stille. Und dann der beste Satz ever: Er müsse sich nun klar werden, ob ich nicht zu viel rede. Ich lege auf, jetzt reicht es endgültig. Sollte der Kollege bei meinem Gespräch dabei sein, muss ich das auf Freitagmittag verschieben, da kann er sicherlich nicht.
Kleiner Spoiler: Ich wurde für Freitag eingeladen. 18 Uhr. Völlig problemlos. Und vor Ort erfahren, er kommt noch dazu. Nach etwas Wartezeit in den Raum geführt worden – und wenig später mit meinem potenziell zukünftigen Chef gesprochen. Und wer kam nicht? Genau… das Genie von einem Personaler. Auch mein Counterpart musste nach einem kurzen Telefonat beschämt zugeben, dass der Kollege mittags schon nach Hause gegangen sei… Für mich ist alles klar… aber wenn ich schon mal da bin, dann ziehe ich das Gespräch jetzt auch noch durch, ist ja schon egal, weitere Bewerbungen sind raus, drei andere Gespräche, die innerhalb weniger Sekunden telefonisch vereinbart wurden, habe ich schon für die Folgewoche…
Unvergessener Spaß mit HR? Jeder von euch kann sicherlich eine ähnlich skurrile Geschichte aus den Untiefen des sich selbst abschaffenden Personalbereich erzählen, stimmts? Ich bin nur froh, dass ich auch ein paar wirklich gute Personaler kenne… auch wenn ich die an einer Hand abzählen kann und noch nicht mal alle Finger dafür brauche…
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2 Antworten auf „„Ich muss erst mal überlegen, ob Sie mir nicht zu viel reden!“ – mein skurrilstes Bewerbungsgespräch ever – unvergessen!“