Dezember. Weihnachtszeit. Im Süden fällt und liegt bereits genug Schnee, um altmodisch mit einem Schlitten den Berg herunterzukommen. Aber über all dem liegt in der ganzen Bundesrepublik, für den einen Segen, für die andere Fluch, der Einladungswahn zu den Weihnachtsfeiern. Musste man vor ein paar Wochen noch mit dem schlimmsten, physikalischer Anwesenheit in den obligatorischen Kneipen oder Restaurants rechnen, sieht es aktuell wieder nach einer Vergewaltigungsorgie von Zoom, Skype und Teams aus. Und das – völlig zu Unrecht – schlimmste an der Sache: dass eine Nicht-Teilnahme immer gleich ein Sternchen am Nachnamen bedeutet… und eben kein Weihnachtsstern…!
Das Jahr des Unternehmens war beachtlich. Trotz Corona, trotz Einschränkungen, trotz durchgehender Homeoffice-Regelung, die schon manchen Führungskräften ein zwischen „ein Dorn im Auge“ bis zu „die faule Bagage, die eh nix macht“ entlockt. Und trotzdem: der Laden brummt, die Zahlen sehen gut aus – und da bis vor Kurzem Corona ein vergessenes Modewort des letzten Winters war, wurden Landauf, Landab wieder Weihnachtsfeiern mit physikalischer Anwesenheit geplant. Wenn auch im Rahmen von, mal mehr, mal weniger gültigen Corona-Regelungen.
Und so manche Führungskraft verwechselt in diesem Kontext gerne die Mitarbeiterbindung und das Engagement des Einzelnen des Unternehmens gegenüber mit der Schnelligkeit und ausnahmslosen Zusage zur Teilnahme.
Auf der anderen Seite sitzen die armen Mitarbeiter, die teilweise ab Januar schon Ersatztermine an den obligatorischen Donnerstagen und Freitagen im Dezember verbindlich buchen, Hauptsache, die Weihnachtsfeier möge spurlos an einem vorüberziehen. Wieder mal.
Um es gleich dazu zu sagen: Führungskräfte, die Feiereien dieser Art als Gradmesser für die Firmentreue nutzen, haben ihren Job nicht im Ansatz verstanden. Natürlich ist es ein wenig frustrierend, wenn man seinem Team was Gutes tun will, Lokale abklappert, Preise und Essensqualität vergleicht und dann kommen von 20 Mann genau… drei.
Aber hey: das ist auch genau das, was dir als Führungskraft im täglichen Job passieren kann: Du gehst von Verkaufszahlen oder Neueinstellungen im zweistelligen Bereich aus – und plötzlich will keiner!
Und abgesehen, was soll das für ein Gradmesser sein? Wenn das erste Getränk, in manchen Regionen Deutschlands meist klassisch ein Bier aufs Haus ist, steigen die Teilnehmerquoten um 60 – 80 %, Liebe Führungskraft, an sich sollte die Sorgfaltspflicht dir jetzt die Furchen ins Gesicht ziehen: nur mit der Aussicht auf Alkohol kommen meine Leute?
Auch wird sich systematisch und hoch-strategisch Zugang zu den Teilnehmerlisten verschafft, um im Vorfeld schon bei eventueller Teilnahme informiert zu sein, ob der/die neue Kollegin tatsächlich auch dabei ist. Oder ob der Besuch nur wieder mit den ollen Gesichtern der letzten Jahre bei den gleichen Gesprächen über Kaninchenzucht, Heckenscherenschleiferei und immer noch nicht vollendeten Umbaumaßnahmen am Schnäppchenkauf einer Bauruine bald ein Ende finden möge.
Und, noch ein Punkt, bei dem Führungskräfte gerne mal ehrlich zu sich selbst sein dürfen: Wer geht denn wirklich mit so einer Grundverzweiflung ins Büro, dass er glaubt, der komplette Freundeskreis kommt ausschließlich von da? Und wer nun das ganze Jahr ohne Reibereien im Kollegenkreis trotzdem erfolgreich seinen Job gemacht hat, ist mit Sicherheit trotzdem jemand, der in seiner Freizeit dem ganzen Haufen keine Träne hinterherweint.
Also, warum dann immer der Umkehrschluss: Nicht-Teilnahme als Wertung der Gleichgültigkeit gegenüber dem Arbeitgeber? Der eigentlichen Tätigkeit, fehlender Wertschätzung gegenüber Kollegen – und, ganz klar, dem Superstar am Führungskräftehimmel?
Und nicht auch selten beißen Führungskräfte die Zähne zusammen, wissend, dass auch wieder der Mitarbeiter kommt, der sie so schon die ganze Zeit nervt und das auch den halben Abend über weiterhin ausüben wird? Dieser arme Tropf geht wahrscheinlich nach Hause und erzählt seiner Frau, wie toll er sich über Stunden mit dem Chef unterhalten hat, während der heimlich in sämtliche erreichbare Handtaschen fremder Kolleginnen kotzen muss – und auch nicht „fern“ geblieben ist, in dem Irrglaube, damit nicht die Karriere zu gefährden?!?
Also: egal auf welcher Seite du stehst, entweder du magst Feiern dieser Art, ob nun im Extremmodus zu Weihnachten oder auch mal die Sommerfeste und sonstige „Teambuilding-Events“, die in der Jahresscheibe typischerweise und Branchen-zementiert stattfinden – oder du würdest lieber zwei, drei Wurzelbehandlungen hintereinander oder sogar parallel über dich ergehen lassen, als freiwillig auf die Idee zu kommen, auf eine entsprechende Einladung mit „ja“ oder „vielleicht“ zu antworten.
Und auch spannend die aktuelle Diskussion, die nicht von Fans dieser Art von Veranstaltungen kommt: kann ich diese Feiern als Arbeitszeit abrechnen und somit auch Überstunden generieren, die ich dann bei der nächsten Feier einfach abwesend abfeiern kann?
Betrachten wir die Sache nun mal ganz nüchtern:
Klar ist es blöd, wenn das Unternehmen für 100 Leute reserviert und keine zehn kommen. Natürlich sieht es für Quotenchefin ziemlich doof aus, wenn nur ein Mitarbeiter, der auch noch aus dem privaten Freundeskreis stammt, auftaucht und vorher schon das Taxi bestellt hat, da er auch nur mit Hilfe wieder aus dem Lokal findet. Und ja, manch Angestellter verwechselt Glühwein, Weib und Gesang mit „alle 11 Schluck verguckt sich ein Mitarbeiter in den Ausschnitt einer Kollegin“…!
Aber: ist diese Einstellung besser, als nicht zu erscheinen? Und was sagt ein Nichterscheinen denn nun wirklich aus?
Ich möchte nicht abtun, dass eine gewisse Anzahl tatsächlich dem Chef so den nackten Hintern hinhält. Aber sagt das was über deren Einstellung der gesamten Firma gegenüber aus? Nichts!, sonst wären die schon gar nicht mehr eingeladen worden, weil sie seit Jahren bereits woanders arbeiten würden. Nie vergessen: Mitarbeiter kommen wegen der Firma und gehen wegen der Führungskraft. Und solange die Führungskraft noch im ignorant-akzeptablen Bereich liegt, ist doch gegen ein Arrangement dieser Art nichts einzuwenden. Viel bedenklicher finde ich Führungskräfte, die aus falschen Motiven heraus versuchen, möglichst viele Mitarbeiter zur Anwesenheit zu zwingen, um Stromberg-like dem ChefChef zu signalisieren, was sie für ein absolutes Genie in Menschenführung sind, die dann doch nur billige Gängelung darstellt und spätestens mit Ende des Essens, meist vor der Vorspeise, im Zehnerpack die Leute fluchtartig das Weite suchen.
Aus eigener Erfahrung meine Empfehlung: Führungskräfte spart euch eure Interpretationen. Ein Wechselwilliger wird nicht treuer, wenn er auf die Feier muss, nur weil er sonst noch einen zusätzlichen „Makel“ mit sich trägt. Und ein echter Fan muss nicht auf die Feier, der macht auch bei Lidl an der Kasse beim Wochenendeinkauf beste Werbung für sein Unternehmen. Und der „normale“ Mitarbeiter, zwischen diesen Extremen: hat ein Privatleben, und ein Recht darauf. Und wenn ihm seine Zeit, warum auch immer, zu wertvoll ist, als auf eine dieser Feiern zu gehen – so what! Messt ihn gefälligst wie alle anderen Feierleichen auch an seinen Zahlen, dem Umgang mit Kunden und seine Zielerreichung. Und die Integration ins Arbeitsteam, zu den internen Schnittstellen. Das alles kann auch eine Feier nicht verbessern, wenn schon alles im Argen liegt. Und wenn, dann kommt doch eh keiner. Hütet euch lieber vor Führungskräften, die die Hütte vollkriegen wollen, auf Teufel komm raus! Die gehen auch über Leichen, und selbst das Multilevelmanagement sucht mittlerweile eher das „umgängliche Modell“.
Kurz gesagt: Macht euren Leuten mit einer Freude nicht das Leben zur Hölle. Wer kommt, schön – und wer nicht, auch schön. Und hört auf, in Absagen oder fehlenden Rückmeldungen immer gleich den „status quo“ der Firmenzugehörigkeit reininterpretieren zu wollen! Oder mit diesem Argument auch gleich noch Druck aufzubauen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein von euch als Delinquent angesehener Mitarbeiter gegen Mitternacht aufgrund Anwesenheitszwang plötzlich mit eurem ChefChef per-du ist und spannende Internas über seine ach so tolle Führungskraft los wird – die sich ChefChef auch noch merkt…
Feiern soll, wer will – und der Rest hat eben Feierabend. Genau so wird interpretiert, wer da ist und wer nun mal nicht da ist. Und damit eine stade Zeit euch für die nächsten Wochen und lasst euch nicht verrückt machen: gleiche Regelungen gelten erst Recht für virtuelle Feiern über Zoom, Teams oder Dings. Nur dass hier ein weiter neutraler Punkt dazu kommt: vielleicht hat nicht jeder Bock, mit seinem Glühwein und einem VK-System allein zu trinken, dessen Bedienung er schon unterjährig nüchtern nur mit panischen Schweißperlen auf der Stirn und viel Zufall gerade mal so hinbekommen hat.
Somit wünsche ich euch gutes Überstehen der kommenden Wochen und den Mut beziehungsweise die Interpretationsfreiheit eurer Führungskräfte, (virtuell) zu erscheinen oder eben auch nicht!
Frohe Vorweihnachtszeit euch!
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Eine Antwort auf „…da ist sie endlich wieder, die stade Zeit – die so Manchem das Leben zur Hölle macht!“