Danke für die Einladung. Der Titel war ja eine Mischung aus Provokation und Nobrainer: „Denken wie Kinder.“ Aha. Da ich zu Hause täglich beim Denken und auch beim Lernen, was mir bei der ketzerischen und kurzgehaltenen Seminarbeschreibung schon gefehlt hat, zusehen kann, schauen wir doch mal, was sich hier einen doch hochpreisig verstecktem Management-Seminar verbirgt oder eben auch nicht – und warum das wahlweise Quatsch oder ganz schön nach hinten losgehen kann…
Es gibt gute und schlechte, Mitmach- und Zuhör-Seminare – genaueres weiß man immer erst zum Schluss! Hier ein Innovation-Summit / Bild-/Quelle: privat
Schöne neue Corona-bedingte Online-Welt. Kein Aufstehen, wenn es selbst im Sommer morgens noch dunkel draußen ist. Keine Qual zu Bahn, Flug oder stundenlang auf der Autobahn. Reicht doch ein Klick aus, um pünktlich und gut gelaunt, als auch ausgeschlafen und ohne erste Abenteuer, die sich auf der Anreise ergeben haben, in der virtuellen Lobby aufzulaufen und direkt in Smalltalk mit weiteren Teilnehmern einzusteigen.
Und nun kam er also, der große Seminartag.
Im Vorfeld wurden den Teilnehmern eine Mischung aus Duplo, Playmobil, Fisher-Price und beliebige Formen und Größen als auch Farben mit individueller Stoffbeklebung übersandt. Dazu noch Papierschablonen, Klebstoff, Klettband, Tesa und doppeltes Klebeband. Auf den ersten Blick ohne Sinn und Verstand – aber hey, denken wie Kinder.
Dann kam der Keynote-Speaker. Ich hatte es schon befürchtet: viel Tschakka, zurück in die Kindheit, Entdecker sein, statt Papierbergwälzer. Auch mal Rückschläge akzeptieren können, das seien ja schließlich nur Umleitungen zum Ziel. Eben mal den Blickwinkel ändern, warum nicht auf allen Vieren unter dem Schreibtisch abtauchen. Und noch mehr so Zeugs.
Parallel dazu eine Diashow aus nicht immer ganz passenden Folien mit Kinderbildern, die die langweiligen Überschriften auf den Folien wohl unterstreichen oder für ahnungslose visualisieren sollte. Allerdings war nicht immer klar, ob die Folie wirklich zum Gesprochenen passen soll – oder eher, ich sage es mal vorsichtig, zum Nachdenken anregen sollte…
Dann noch eine Einweisung in die übersandten Gegenstände.
Und, erwartungsgemäß, fing der Spaß für uns an: hatten doch immerhin zwei Teilnehmer die übersandten Inhalte aufgrund eines „Missverständnisses“ den eigenen Kindern übergeben und daher nicht oder eben nicht in der übersandten Form mehr griffbereit. So schnell wird man vom Teilnehmer zum Zuseher, nichts mehr mit erforschen.
Aktiv wurden die Teilnehmer nun ermuntert, die Figuren in einzelne Teile zurück zu zerlegen und die Anleitungen aus den Kartons wegzuwerfen. Schließlich gibt es heute keine falschen Antworten, keine falschen Figuren oder Symbole und auch sonst ist alles erlaubt.
Gut, dass keine Windeln mit verschickt wurden!
Und dann ging es an ein Potpourri an mal mehr, mal weniger sinnigen Übungen, mal gemeinsam, mal mit Stoppuhr gegeneinander, um die Scham vor Fehlern und dem Fördern von „out of the box“-Denken zu beschleunigen bzw. zu aktivieren.
Natürlich kam dann die große Abschlussaufgabe: aus allem, was man bekommen hat, was Verrücktes herzustellen. Beliebig. Kreativ. Und in 50 Minuten. Plus zehn Minuten um das Kunstwerk zu erläutern, den Weg beschreiben, Hindernisse aufzeigen und Umwege oder verworfene Versionen zu erwähnen.
Nun, kreativ musste es schon sein, da Lego und Playmobil schon mal nicht kompatibel sind. Auch Fisher-Price hat jetzt nicht wirklich eine „Schnittstelle“ zu den zuvor benannten. Also: wer konnte seine „Box“ für die Abschlussübung am besten und weitesten verlassen und konnte kreativ so viel wie möglich zusammendrücken?
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich wäre hier noch mit Herzblut und Lernwillen dabei gewesen. Ich war schon mehr in der U-Boot-Rolle um mir genau aufzuschreiben, was bisher alles nicht so zusammen gepasst hat und was mir sonst noch so aufgefallen ist.
Und, nun, am Ende… da kommt ihr nie drauf: Klar! Gewinner waren am Ende alle… blablablab…
Ok, puh – ein langer und für mich sinnloser Tag ging nun endlich zu Ende. Ihr kennt meine konstruktive Art, daher nun zu den Punkten, die mich bei dieser Veranstaltung und all den „Übung“ am meisten gestört haben:
- Wenn du Führungskraft bist und nicht Einsteiger, vielleicht schon so ne Ebene unter C-Level in deiner Firma – dann sollst du dich auf ein Kleinkind reduzieren lassen und denken wie ein Kleinkind? Das ist auf deiner Ebene eine reine Themenverfehlung! Du bist nicht in deine Rolle mit dem Gehalt, dem Bonus und den zusätzlichen Gehaltsumwandlungen, um am Boden zu rutschen und runter gefallene Legosteine zu suchen! Du sollst Leute motivieren, spannende Aufgaben delegieren, unschöne Nachrichten verbreiten, Budgetpläne und Strategien erarbeiten und vor allem delegieren, delegieren, delegieren. Und nebenbei die Zeitzonen der Welt kennen, um zu deinen Videokonferenzen nicht zu spät zu kommen und deinen Tag optimal terminlich füllen kannst. Du hast auf dem Boden nichts verloren!
- Wenn du Neueinsteiger in der Führungskarriere bist, machst du – unfreiwillig – genug Fehler. Menschenführung ist ein Knochenjob, den man leider hart erlernen muss und das hinterlässt auch mal gekränkte und falsch verstandene Mitarbeiter. Auch fehlt dir jede Kenntnis von unausgesprochenen Regeln und Symbolik auf der neuen Ebene. Hier wie ein Kleinkind auf allen Vieren über den Boden robben und „Da!Da!Da!“ schreien – soll dir nun wie genau weiter helfen? Sollst du bei einer kritischen Nachfrage eines deines Mitarbeiters künftig sabbern und nach einem Schnuller verlangen?
Du verfügst über ein Basic-Set an Maßnahmen und Methoden, idealerweise Projektmanagement-Know-how. Sonst wärst Du wohl auch niemandem für eine Beförderung in den Sinn gekommen (genaueres hier nachzulesen – es war wohl nur Zufall!). - Wenn du Ingenieur bist, machst du all das, von Grundlagenforschung über Recherche, Machbarkeitsanalyse und nebenbei schon ein wenig Raspberry Pi programmieren und Breadboards stecken – meist, ich nenne es mal, „unterbewusst“. Und dafür sollst du dich nun zum Affen machen und auf allen Vieren über die Auslegeware robben? Wofür genau nochmal?
- Und jetzt bist du in der Rechtsabteilung – was willst du hier bitte mitnehmen? Wie man mit Farbstiften einen Gesetzesband maximal möglichst unkenntlich macht? Das wusstest du bereits im Studium vor deiner ersten Klausur oder ging es nur mir so?!
Die Beispiele könnt ihr nun weiter stricken, wie ihr wollt. Das ist eine „one size fits all“-Veranstaltung, das war der erste und schlimmste Fehler, der mir bei dieser „Babyrunde“ aufgefallen ist.
Du bist hoch qualifiziert und sollst dich nun vor Kollegen und Schnittstellen zum großen Affen machen? Wo zum Teufel ist da der geschützte Raum, das „es bleibt alles hier“-Versprechen? Das sind essenzielle Spielregeln – dafür muss die Gruppe aber „Ebenen-technisch“ zusammenpassen! Sonst geht das nicht! Niemals! Also sofort auflegen!
Oder, ganz direkt gefragt: Wenn dein CxO, dein Chef oder ChefChef zu dir kommt, und sagt: „Erklären Sie es mir wie einem Fünfjährigen!“ – dann hast du alles richtig gemacht. Wenn besagter Chef aber vor dir steht und nun mit Lego spielen will – dann hat er sich nicht deinen Namen oder deine Kompetenz als das prägendste Merkmal deiner Person gemerkt. Einzige Ausnahme: auf deinem Tisch liegen vier farbliche Steine zur Abbildung deiner Persönlichkeit.
Ich glaube, ihr versteht nun ein wenig besser, warum das Seminar bei mir einfach nur durchgefallen ist.
Generell gilt:
In jedem Seminar ist eine „Idiotenübung“ dabei. Aber die sollte als „warm up“ oder als „Kennenlernen“ der Teilnehmer laufen, dich nach dem Mittag aus dem Suppenkoma ziehen und am Ende erfrischen um den Tag bewusst und mit Konzentration ausklingen zu lassen und dich als „mini-warm-up“ auf den zweiten/kommenden Tag einstimmen – und nicht den ganzen Tag dauern!
Und klar, irgendwie wiederholen sich Teile immer: Klassiker gefällig? Das zuvor schon angedeutete Vier-Farben-Modell zur Erklärung menschlicher Verhaltensweisen – du weißt schon: rot, gelb, grün, blau.
Na klar stellst du dich der Gruppe vor – aber kurz und prägnant. Und nicht als Vormittag-füllende Rhetorik-Übung oder mit erhobenem Hintern und dem Schreibtisch vorguckend, während Lego- und Fisher-Price-Steine deinen Weg füllen.
Und seitens des Veranstalters muss es gleich nach der Begrüßung die Spielregeln geben: geschützter Raum oder offene Wiese, Trennung der Ebenen oder bewusstes Mischen der verschiedenen Level von Führung und Verantwortung. Bei Mischung ist aber „zum Affen machen“ für alle ein Tabu!
Daher: klares Zielbild. Abfrage von Erwartungen seitens Teilnehmer. Abfrage „Stand der Teilnehmer“ und Vertrautheit mit Inhalten und Zielen des Tages oder was jeder Einzelne damit in Beziehung setzt und welche Erwartung gehegt werden. Ja, auch hier, eine bewusste Doppelung.
Was mich also an dem tagesfüllenden Seminar aber am meisten gestört hat:
Im Prinzip so gut wie alles vorstehende. Keine Spielregeln, bunte Durchmischung einer FK1, also Führungskraft unter der C-Ebene, mit „hoch dotierten“ Facharbeiten und Führungskräfte-Einsteigern. Und: im Vorfeld keine Hausaufgaben gemacht! Kurz den Telefonhörer in die Hand genommen und abgefragt, ob alle Lego-Pakete bei den Teilnehmern angekommen und dort nicht im Kinderzimmer verschwunden sind.
Klar, einer hat immer Pech und eben kein inniges Verhältnis mit seinem DHL-Boten – und wenn die Veranstaltung einseitig nur auf diese Steine setzt, war da eben die „Fortbildung“ schon vorbei bevor sie so wirklich angefangen hat.
Kaum Anleitung, wo es hingehen soll und, vor allem, wie und warum es nutzt und wie es in der Praxis dann tatsächlich Anwendung finden kann! Und, dank der eher wackelig zusammen geschüttelten Videokonferenz-Lösung, auch keine Zusammenarbeit der Teilnehmer untereinander möglich, geschweige denn, vom Veranstalter vorgesehen. Kurz gesagt: das hätte ich mir auch per Buch anlesen können oder per YouTube-Video in der Mittagspause „erlernen“ können.
Dass die Feedbackrunde am Ende auch ein wenig verhalten und eher aus Anstand nicht zu einem Eklat geworden ist, konnte man den Teilnehmern ansehen. Daher: Achtung bei der Auswahl von Seminaren!
Auch wenn ich es nur ungern sage, weil man auch die eine oder andere Perle dann übersieht, aber der Dozent sollte im Internet auffindbar sein – und nicht nur wegen seiner Webseite!
Und da die Digitalisierung von Präsenznummern teilweise genug Mühe macht und Zeit kostet, sollte es über frühere Versionen Kommentare und Anmerkungen oder zumindest Teile der Dokumentation im Netz geben. Wenn nein, tiefer buddeln oder den Veranstalter mit konkreten Fragen kontaktieren oder sogar konfrontieren.
Die Buchung einer Fortbildung sollte nicht neben dem Tagesgeschäft schnell auf Basis eines Fachzeitschriftschnippsels kurz vor der Mittagspause passieren. Da sollte HR einen Blick drauf werfen und eventuelle Referenzen von Teilnehmern durch einen Anruf bei HR in dem jeweiligen Unternehmen kurz mal querchecken. Oder über Verbandszugehörigkeit ein wenig klopfen und sehen, was an Rückmeldung raus fällt. Oder doch einfach der gute alte Kumpel Google, der einfach zu fast allem was weiß…
Klar: so eine Veranstaltung ist immer subjektiv. Während fünf es scheiße finden, sind 23 der Meinung, dass sie nur mehr diesen einen Dozenten buchen werden. So ist das Leben, so ist Lernen, so funktioniert Sympathie, weil man Gemeinsamkeiten entdeckt hat.
Man kann es nicht allen recht machen. Aber trotzdem sollten auch die fünf, die nicht begeistert waren, ein paar Neuigkeiten mitgenommen haben – auch wenn die Darreichungsform nicht ihrer Erwartung entsprach.
Dann hoffe ich mal, dass Posts wie dieser von euch nicht gebraucht werden, um (Online-)Seminare zu buchen bzw. dass ihr schlechte, also so richtig schlechte, Thema-verfehlende Online-Sessions vorab verlassen könnt, statt hier zwangsweise Stunden oder gar Tage totsitzen müsst.
Und dass euch vorstehende Punkte, die man beliebig erweitern kann, helfen, bei der Findung des „nix wie weg“ oder „Augen zu und durch“ Seminars eurer Wahl!
Dann mal wirklich produktive Fortbildungen euch! Schöne neue Online-Welt, was?
PodCast abonnieren: | direkt | iTunes | Spotify | Google | amazon |
PROUDLY RECORDED AND PRODUCED WITH Ultraschall5