Ok, meine Formulierung „Erste Generation Internet“ kann man nun falsch verstehen. Ich spreche nicht von Stanford und den 50ern, die erste Netzwerkverbindung, das erste Protokoll und die „IP on everything“-T-Shirts oder erstmalige Nutzung von „Hello World!“. Nein, ich spreche von der Generation der 18-jährigen, oder kurz davor oder ein wenig drüber, die in den letzten 90ern, also den 1990ern, die erste Generation war, die zwar mit viel Geld verbunden aber als erste problemlos von zu Hause aus das Internet kennenlernen konnte. Wer sich für Team Blau oder Team Magenta entschieden hatte und immer ein wenig neidisch in die USA und den dortigen GeoCities guckte, und wahlweise mit einem 33k- oder 56k-Modem die Einwahlorgel erleben durfte, konnte problemlos E-Mail nutzen und erste Portale wie Spiegel, T-Online, AOL oder eben auch openBC, heute besser als XING bekannt, beim Entstehen und wachsen zusehen. Ebenso wie das Regensburger Telebuch.de, die heute amazon Deutschland heißen, was sie einer Übernahme zu verdanken haben. Aber, so meine eigene Feststellung: wo ist die erste Generation denn hin verschwunden? Kaum einer ist auf XING oder LinkedIn, kaum einer betreibt eine eigene Webseite. Auf Facebook nicht aktiv zu sein gibt von mir Daumen hoch – aber auch hier, kaum ein Treffer… was bitte ist denn hier passiert, dass ihr alle zur ersten Generation Internet-Verweigerern wurdet?
Wenn du so Mitte der Siebziger geboren wurdest, bist du für mich in Deutschland das, was ich EGI – „Erste Generation Internet“ getauft habe. Du kannst dich noch an die vielen Untersetzer für Tassen und Gläser erinnern, die wir damals, dann in den Neunzigern, frei Haus oder mit unzähligen Zeitschriften zusammen bekommen haben: Die beiden einzigen Internet Provider Deutschlands lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen über die Marktführerschaft und verschenkten daher ihre CDs, mit denen der benötigte Client als auch Einwahldaten für den Dienst, sei es T-Online oder AOL Deutschland, integriert waren. Single-Sign-On, sozusagen – ja, wenn… wenn du ein Modem dein Eigen nanntest!
Derer gab es zum damaligen Zeitpunkt zwei – na ja, und etwas, das wir BTX nannten. Aber das war ja mehr Teletext als Internet, daher ist der Bildschirmtext hier raus! Entweder du hattest vor allen Vorsprung, dann hattest du bereits seit geraumer Zeit ein 33er-Modem. Oder, JETZT war dein Moment fürs Netz gekommen, dann nutzt du das neue und rasend schnelle 56k-Modem. Sagen wir es so: mal angenommen, YouPorn hatte nur Bilder. Und die alle nicht über 1Mbyte pro Datei, du wärst nach drei, spätestens vier Bildern wieder weg! Versprochen!
Aber hey! Wir waren im Netz! Der Begriff „Neuland“ war noch nicht von der Politik ausgelutscht und für uns war es real. Und jeden Tag was Neues! Sagt euch „Hamsterdance“ noch was? Nein? Dann schnell den vorstehenden Link geklickt: DAS IST DAS ORIGINAL! Wir haben es wochenlang angesehen und gekichert wie kleine Kinder! Und wir haben es per E-Mail und, wenn alle Empfänger bei AOL waren, über den Instant Messanger geteilt… also, an alle drei Freunde, die wir so online hatten.
Ach, kleiner Fun Fact: zu diesem Zeitpunkt habe ich meine erste Bestellung bei dem, was wir heute amazon.de nennen, aufgegeben, damals unter dem Namen Telebuch.de, mit Anschrift in Regensburg, unter der amazon Deutschland heute noch residiert. Und schon damals: Versandkostenfreie Lieferung, wenn man denn ein Buch mitbestellt hat! Wow, wie die Zet vergeht!
Doch dann – war die Schule vorbei und die Bundeswehr fand ausreichend Verwendung für uns. Das war ein Rückschlag für das Online-Leben, mal von den Wochenenden abgesehen und den notwendigen Leber-Schonungsmaßnahmen, die gerne am Computer verbracht werden wollten. Aber, nun fand die nächste Technik langsam Einzug: das Handy. Unvorstellbar, dass wir damals unterschiedliche Preise für Tags und Abends bezahlt haben… und die waren teilweise bis zu 1,49€ PRO MINUTE – WOHL GEMERKT – unterschiedlich! Und als Handy: das Nokia 2110. Mit Ausziehantenne. Und eines der wenigen, dass schon SMS empfangen UND SENDEN konnte! Viel Auswahl hatte man nicht: Telekom oder D2 Mannesmann. Langsam kam auch E-Plus durch. Aber, bis zum Ende durch die Fusion mit Viag Interkom, heutzutage als O2 bekannt, wusste jeder: mit E+ sparst du am meisten, weil du einfach nirgendwo Netz hast!
Und im folgenden Studium die Internet-Revolution. Jede Hochschule hatte einen Internetzugang, den sich die wenigen aber immerhin frei verfügbaren Rechner hatten. Und das Internetangebot wuchs: blinkende und textlastige Homepages von Privat für den Rest der Welt, telebuch.de mit kostenfreiem Versand aller Bücher, Blitzerportale und sonstiger Schnickschnack, den die Welt nicht braucht – also, nicht weit weg von heute, aber nur rudimentär das, was wir heute von Webseiten so erwarten. Aber: jeder der immatrikuliert war, hatte freien Zugang zum Netz und entdeckte so auch die ersten Sexbilchen im Netz – ja, Erotik war einfach immer das schnellste, egal wo und wie! Und so konnte man auch mal das lokale Admin-Team aus der Nähe erleben – und sollte es das nicht gewesen sein, hat man auf einer Sun- oder Silicon Graphics-Unix-Maschine ein paar Pings und die Übertragung einiger (Cron-)Jobs auf weitere Rechner vergessen und mal schnell ein paar… Megabyte an Daten über das Wochenende um den Globus geschickt… kann ja mal vorkommen…!
Aber das Internet wuchs unaufhaltsam weiter – nur die EGI, die erste Generation Internet, sie blieb zurück. Wo, ist teilweise unbekannt, da sie im Netz nicht in Erscheinung treten. Vereinzelte Spuren in alten E-Mail-Verteilerlisten aus Studiumszeiten sind die letzten Online-Zeitzeugen, dass diese Personen gelebt und auch online gewesen sein müssten.
Was ist passiert?
Heute, gute 30 Jahre später, ist das Netz nicht mehr wegzudenken. Und für die meisten auch das Handy. Aber: ein Blick in die gängigen Netzwerke offenbart nach wie vor eine erschreckende Zahl „Offliner“, die sich dem Trend widersetzen bzw. auf in sich geschlossene Netzwerke wie whatsapp oder, wenn es sicher sein soll, Signal setzen.
Das ist umso unglaublicher, als die nächste Generation – also, die „Achtziger“ zugleich erstmalig als die „Digital Natives“ bezeichnet wurden: für sie ist das Leben ohne Internet undenkbar. Sie haben keinen Bibliotheksausweis, dafür aber wikipedia. Sie konsumieren, aber auch im Illegalen, sei es Musik oder auch Film. Und sie springen auf die neuesten Trends: facebook, instagram, TikTok und auch auf das vergessene SnapChat.
Aber was verursacht nun diese enorme Lücke zwischen den beiden Generationen? Wie so oft ein Zweigestirn: Wissensvorsprung und der heute so benannte „Early Adaptor“.
Jetzt könnte man sagen: „Hey Steve! Spinnst du? Das ist doch dasselbe?!?“. Dann dreht bitte die Uhr zurück und jeder, der wahlweise mit einem Mac oder auf Windows ein 33- oder 56k-Modem installiert hat, hebe die Hand. Das war damals ein Erlebnis. Die „Chip“, tatsächlich mal eine Fachzeitschrift, war voll mit Fehlern und Problemen, vor und nach einer Installation. Und auch damals nicht ganz trivial: wo genau ist der Anschluss, den die Bundespost noch ins Haus gelegt hat und wie bekomme ich, ohne, dass mich meine Eltern zur Adoption freigeben, die benötigten Meter an Modemkabel quer durch die Wohnung?
Damals warst du Early Adaptor, einer der ersten, der online war. Mit all dem, was dazu gehörte. Da gab es keinen Wissensvorsprung, weil keiner von uns wusste, was kommt und was passiert. Aber wir haben, ganz Internet-like, unsere Erfahrungen geteilt: mit dem Rad zum Kumpel und tatkräftig unterstützt. Deshalb sind diese beiden Begriffe für die wilden Siebziger, anders als heute, kein Synonym.
Und weil nun nicht jeder damals Eltern hatten, die zum Wohle des Kindes die meterlangen Kabeltrassen quer durch die Bude ignorieren wollten, konnte nicht jeder den Einstieg in das Internet wagen. Auch hatten wir damals noch echte Freizeitaktivitäten: mit dem Bike quer durch den Wald, und davon jeden Tag eine andere Abzweigung testen. Oder rausfinden, wo der beste Kumpel wohnt, da haben wir uns auch von 20 oder 30 Kilometer nicht abschrecken lassen. Wir saßen mit Gaskocher im Wald, Zelt neben und Schlafsack bereit um ein Wochenende mal „alleine“ zu sein. Unter Freunden, natürlich. Wir sprangen von Brücken in den Fluss, ohne mit der Wimper zu zucken. Und ja, wir waren bei Wind und Wetter draußen! Einige sogar mit viel Herzblut und in Gruppen, denn Pfadfinder waren uns nicht fremd, dafür hat jeder im Garten seinen Schlauch bereitwillig aufgedreht, wenn zwei Jungs „hechelnd“ mit leeren Flaschen vor der Tür standen!
Daher meine Theorie: wenn du den frühen Einstieg ins Netz verpasst hast, hattest du wirklich besseres zu tun. Und das hast du sicherlich heute auch noch. Klar, mit iphone und dem neuen Schnickschnack wie WiFi und Datentarif bist auch du, der sonst nicht im Netz zu finden ist, online. Und kaufst auch bei amazon, aber eben nur, wenn der Weg zum Einkaufszentrum gerade versperrt ist oder du krank zu Hause bist. Sonst bevölkerst du die Fußgängerzonen dieser Nation. Und vielleicht warst du nie auf openbc, dafür hast du ein XING- oder sogar Linkedin-Profil. Aber dein Leben dreht sich, ganz im Gegenteil zu zum Beispiel mir, nicht um Schlaf, Arbeit, Online. Du hast ein Facebook-Profil, aber wahrscheinlich verwaist oder im Privat-Modus – und nicht im Klarnamen. Und außer ab und an alten Freunden zum Geburtstag zu gratulieren, bist du mit jedem Login nur am Passwort resetten.
Geht es dir damit schlechter als mir? Ein klares NEIN! Nutze ich meine Zeit effektiver, da amazon Spar-Abos mir einen Großteil der Zeit mit anderen Dingen ermöglichen und würden Aldi und Lidl noch liefern, ich gar nicht mehr vor die Tür gehen. Subjektiv vielleicht ja, aber objektiv – wohl auch eher Gleichstand.
Allerdings sind die Früheinsteiger dir um eines voraus: Wir haben gelernt, uns, teilweise ohne fremde Hilfe, stundenlang vor der PC-Kiste zu Hause Fehlermeldungen zu beseitigen und Dinge zum Laufen zu bekommen und damit ein anderes Verhältnis zu IT, Software, Hardware und Internet. So sehr es schmerzt: wir besitzen das bessere IT-Wissen. Nicht von Anfang an, aber ab dem Moment, ab dem es erstmalig für alle da war. Und das prägt uns bis heute und macht uns einer afiner, Dinge im Netz zu probieren oder eben auch mal selber eine Webseite, einen Blog, eine Fanpage oder ein YouTuber bzw. Switch-Player zu sein. Und nicht wenige verdienen, sei es nur als „Sidekick“, Geld im Netz, und das auch noch legal!
Und das schönste: Egal on du Feld, Wald, Wiese, Fluß oder Freundschaften gepflegt hast oder im Verein tätig warst und daher nicht dauernd nur im Netz hingst: wir haben uns, anders als heute, trotz unserer verschiedenen „Netzwerke“, die wir gepflegt und genutzt haben, nicht aus den Augen verloren… und heute passiert das bereits, wenn Du nur den falschen Chatclient auf dem Handy hast. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, dass wir erste Internet-Generation ein wenig unterschiedlich und trotzdem befreundet sein konnten…?!?
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