Mitten im Wirtschaftsabschwung – danke Olaf! – und in der Ankündigung von Milliardeneinsparungen und Werksschließungen kratzt VW fünfeinhalb Milliarden Euro aus dem Dispo und kauft ein in Deutschland wohl unbekanntes Start-up aus den USA. Sollte man meinen, dass hier eine Perle, nein, ein riesiger Diamant um die Ecke kommt. Stattdessen kauft VW einen Pleitegeier, der seit Gründung nur rote Zahlen schreibt. Auch wird es keine „Verkaufsgemeinschaft“, wo VW endlich sprudelnden Quellen gleich seine E-Autos verkaufen kann – die laufen in den USA aktuell auch nicht so prickelnd. Mal davon ausgehend, dass VW eine Strategie hinter all dem hat, wie kommt man auf die Idee, Rivian zu kaufen?
Rivian? Who the fuck is Rivian?
Rivian wurde 2009 gegründet und, ganz untypisch für die USA, nicht als Aktiengesellschaft. Erst im Jahr 2021 kam der Börsengang, hierbei nahm Rivion fast 12 Milliarden Dollar ein. Großaktionäre, neben dem Gründer RJ Scaringe waren, Überraschung, Ford und amazon. Letzteres erklärt sich, da die Firma für unseren Lieblingsversandhändler in den USA Auslieferungsfahrzeuge mit Namen EDV produziert. Sonst produziert das US-Unternehmen, was der Ami will: ein großes SUV (R1S) und einen Pickup (R1T) – neue 2-er-Modelle scheinen zu kommen oder da zu sein, die Webseite ist da ein wenig indifferent…! Also hat VW ein US-E-Auto-Unternehmen gekauft? Ja und nein. Ist es ein Massenhersteller, der fancy Roboter einsetzt? Nein, zum Börsengang gab Rivian an, 56 Pick-Ups produziert oder noch in Produktion zu haben, zum SUV konnte ich nichts finden. Kein Wunder, die Webseite von Rivian muss man hassen. Egal, ob Investor Relations oder Presse, außer viel schmalzigen Text und US-like-Sonnenschein-everywhere-Photoshop-Strahlemann-Bilder nichts zu finden.
Was sollte man noch wissen? Es gab immer wieder Vorwürfe eines Mitbewerbers, dass Rivian durch verschiedene Mittel und Methoden, im Speziellen das Abwerben von Mitarbeitern, sich fremdes geistiges Eigentum holt. Und, zur finanziellen Lage, neben all den markanten Sprüchen und Texten und den happy-shiny-Fotos auf der Webseite, sollte man wissen, dass Rivian wohl über zwei Milliarden Dollar Schulden auf dem Buckel hat.
Und zu allem Übel hat man die Zusammenarbeit mit Ford in 2021 aufgelöst. Zu dieser Zeit kostete ein Fahrzeug von Rivian knapp 90.000 US-Dollar… und, so hört man, mussten mindestens 30.000 Dollar von Rivian draufgelegt werden – also, ein gesundes Unternehmen sieht definitiv anders aus.
Somit mussten kleinere und günstigere Modelle her, diese wurden im März 2024 vorgestellt. Und es dürfte schnell klar sein, was hier kommt, wenn man die Bezeichnungen liest oder hört: R2, ein SUV und R3, ein, Überraschung, Kompaktwagen.
Was kann Rivian, was VW nicht auch könnte,vielleicht?
Von den Fakten bisher scheint VW 5,5 Milliarden für einen Automobilhersteller auszugeben. Der weder auf dem US-Markt eine Bedrohung darstellt und, da spricht der Betriebswirt in mir, locker ausgesessen werden kann, bis er von allein pleitegeht – da rettet auch der amazon-Auftrag niemand.
Also, was veranlasst VW mitten in einer aktuellen Krise, so viel Geld aus dem Fußbodentresor zu ziehen? Ganz einfach: das ganze Zeug, das wir Kunden selten bis gar nicht zu sehen bekommen und wo VW, mit den ganzen modularen Baukästen, die sie für die jeweiligen Schienen von Fahrzeugtypen aufsetzen und quer durch den kompletten Konzern zur Pflicht auserkoren haben. Spart Geld, keine Frage. Aber wenn ein Vorstand VW Skoda ermahnt, dass es nicht sein kann, dass die legierten versilberten Lüftungsauslässe dem Phaeton und nicht dem Superb vorbehalten sind, sagt das schon viel aus.
Und da sieht VW die fast-6-Milliarden-Euro-Lösung bei Rivian: Software, Netzwerk-Architektur und Steuercomputer.
Bitte was?
Nun, ein typischer VW Golf hat um die 30 Steuergeräte verbaut. Da können so banale Funktionen wie die Intervallwischung des Scheibenwischers gesteuert werden. Oder wichtige Dinge wie die Matrix-LED-Lichtregelung oder die Steuerung für das auslösende Moment der Airbags.
Einziger Nachteil: Aufgrund der kompakten Bauweise sitzen diese Geräte nicht immer da, wo z.B. der Scheibenwischermotor angesiedelt ist. Also benötigt man Kabel. Diese sind im Fahrzeug, ich kürze ein wenig ab, als „CAN-Bus“ bekannt, ein standardisiertes Modell zur Kommunikation von Fahrzeugeinheiten. Und so, wie ihr euch vorstellen könnt, kommt bei dem „Choas“ zwischen Steuergerät-Position und dem Anschluss an das zu steuernde Element viel Kabel zusammen, das sich schon mal auf ein paar gewaltige Kilo summieren kann.
Natürlich gibt es neue Ansätze, zum Beispiel Ethernet, bekannt von Computern und Netzwerken. Aber wer will in der Automobilbranche schon bekannte Zöpfe abschneiden?!?
Und da kommt nun Rivian ins Spiel: Ziel wird sein, die Steuergeräte auf unter zehn zu bekommen. Somit kann VW Komplexität aus der Fahrzeugarchitektur kriegen – wenn sie denn wollen. Und im Idealfall auch noch Geld sparen – sprich, die Autos teurer machen und die Marge weiter hoch treiben.
Drei Ansatzpunkte möchte VW also mit Rivians Hilfe umkrempeln: die Steuergeräte minimieren, hatten wir schon. Die Software endlich nicht so wirken lassen, als hätte ein blinder Waldorf-Schüler sie mit dem führenden Arm auf den Rücken gefesselt gemalt. Und, wer hätte es nicht noch erraten, die Netzwerkarchitektur. Netzwerk-Architektur werden ihr jetzt mit Blick auf VW lauf ausstoßen – und ja, da habt ihr recht.
Und nun der Brüller: VW bezahlt mehr für Rivian als der Laden lieb ist – und das Ergebnis soll ein 50:50-Modell beider Firmen sein. Nun gut, man kann seine Kohle auch mit Nutten und Fußball auf Null bringen, warum nicht Rivian eine Chance geben?
Wie es weitergeht
Basis für alles Weitere, was wir nicht vor 2027, und das halte ich in der Gemengelage zwischen Beamtenladen und bald verzweifeltem Start-Up sehr optimistisch, sehen werden, wird die eingekaufte Elektronik-Architektur von Rivian sein. Mal sehen, ob sie sich mit ihrem Bestandsmodell in Wolfsburg durchsetzen können. Da erst dann Stück für Stück der Rest aufsetzen kann: Die Technologie und dann die Software obendrauf.
All das soll 2027 loslegen, VW startet, Audi, Scout, also die US-VW-Pickup-Marke und dann Porsche. Bevor alle anderen auch zum Zug kommen. Ich finde es komisch, dass die Reihenfolge eher willkürlich wirkt, war Porsche doch Margenkönig, ebenso Audi. Gut, bei Audi sind die fetten Jahre vorbei, aber die Position, die VW ihm aktuell gibt, überrascht mich trotzdem. Und dann die US-Marke – aber auch naheliegend, wer weiß, wie die VW-Pickups und die Rivianischen so verschmelzen könnten…! Dann würde es Sinn machen. Auf jeden Fall greift VW die aktuell neue Generation zwei der Rivian-Plattform ab.
Am 27.11. soll es mit den beiden so richtig losgehen.
Ich bin gespannt, überzeugt hat mich Rivian mit der Software bis jetzt nicht. Da die unsäglich beschissene Rivian-Webseite kaum Bilder zeigt, sieht man einen Mock-up-Shot von Apple Music. Dafür brauche ich Rivian nicht. Und ein zweiter Mockup zeigt die Übersicht zum Fahrzeug. Unter „Mehr Infos zur Technologie“ gibt es ein Bild vom Fahrerplatz, ein längliches Display für den Fahrer und in der Mitte ein großes. Ja, sieht gut aus… aber von VW aus kommend, sieht alles besser aus, als das, was wir kennen.
Ich bin nur gespannt, was auf Cariad im VW-Reich wird. Entmachtung ist hier bereits deutlich zu spüren, sehen wir mal, was Rivian wirklich bei VW durchbekommt. Wer in diesem Deal schon heute der Gewinner ist, ist klar. Und VW ist damit nicht gemeint.
PS: Einen hab ich noch. Klingelt beim Namen Northvolt bei euch noch was? Nein? Ok, Management Summary: Ist ein schwedisches Start-Up für E-Auto-Batteriezellen. Seit ein paar Tagen ist das Unternehmen unter US-Gläubigerschutz, Chapter 11. Und nun ratet mal, wer an diesem Pleitegeier mit 21 Prozent beteiligt ist bzw. war? Und wer sich hier einen Wert von 900 Millionen in 2022 und 2023 nur noch knapp unter 700 Millionen Euro(!) in die Bücher hat schreiben lassen? Auch Goldman Sachs ist hier investiert, sie haben ihre Beteiligung bereits auf null abgeschrieben. Ich bin gespannt, wie es mit der in Bau befindlichen Fabrik in Heide weitergeht, aber hier würden sicherlich wir alle VW und Northvolt als Steuerzahler unter die Arme greifen, was aus meiner Sicht einer Insolvenzverschleppung gleichkommen würde – nur auf Staatskosten.
Dann sehen wir nun VWs glückliches Händchen bei dem ja auch schief stehenden Rivian zu. Für mich wäre ein Erfolg schon, wenn sie das mit den Steuergeräten und der Bordelektrik auf ein durchschaubares Minimum bekommen würden. Was ich im Zuge der Recherche für diesen Pod und Blog gesehen habe, kann ich nur hoffen, dass die Kohle nicht in erster Linie für die Grafiken bezahlt wurde, sonst wird das ein zweites und drittes Cariad!
STOLZ PRODUZIERT UND AUFGENOMMEN MIT ULTRASCHALL5!